Aufbruch in eine demokratische und purpose driven Unternehmenswelt – Teil 1

Kategorie: Blog

Der 2-teilige Artikel beschreibt den Weg von einer klassisch-hierarchischen hin zu einer demokratischen und sinnbestimmten Unternehmenswelt aus einer persönlichen Perspektive und anhand der „Studie zu nachhaltigen und demokratischen Unternehmen“ des Beraternetzwerkes SustainCo.

Das Ende der klassisch-hierarchischen Unternehmenswelt

Entwicklung statt Wachstum, Qualität statt Quantität, auch Irrationales und Intuitives – all das seien nach Fritjof Capra Ingredienzien für ein neues Weltbild. Er erklärt, dass es im Laufe der Evolution zu einer immer strikteren Trennung zwischen biologischen und kulturellen Aspekten gekommen sei, indem rationale wissenschaftliche Kenntnisse enorm gewachsen sind, aber die Weiterentwicklung von intuitiver Weisheit und ethischem Bewusstsein vernachlässigt wurde. Als ich in den frühen 80er- Jahren zu Beginn meines wirtschaftlichen Studiums Capra zum ersten Mal hörte, hat mich das tief beeindruckt. So wie in der Physik durch die Chaostheorie ein Tor zum Nichtlinearen abseits des objektiv Messbaren aufgemacht wurde, so solle es auch in anderen Wissenschaften, wie der Medizin oder der Wirtschaft, sein. In seinem Buch „Wendezeit – Bausteine für ein neues Weltbild“ beschreibt er bereits 1982, wie die mechanistische Weltsicht durch ein nicht-mechanistisches organisches Weltbild abzulösen sei. Er argumentiert, dass es zur Eindämmung des linearen „Fortschritts“, der das natürliche Gleichgewicht zunehmend zerstört, ein ganzheitliches und ökologisches Bewusstsein braucht, das „aus einer intuitiven Erkenntnis nicht-linearer Systeme entsteht“ (Capra 1985, 39f). Es bedarf also einer Wiederzusammenführung von Rationalem und Intuitivem.

Jahre später beschäftigte ich mich mit der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins und stieß dabei über die Individuationsstufen laut C.G. Jung sowie die Lebensentwicklungsphasen nach Erik Erikson auf Ken Wilber und seine integrale Theorie.

Mit Ken Wilber konnte ich die gesellschaftliche und menschliche Entwicklung in einem neuen ganzheitlichen Zusammenhang verstehen. Ich entdeckte ich anhand der vier Quadranten von Wilber, dass die Systematik der evolutionären Entwicklungsschritte des Individuums auch auf soziale Systeme übertragbar ist (Wilber 2007). Die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins – von magisch-mythisch und egozentrisch weiter zu rational, pluralistisch und holistisch – findet damit ein Spiegelbild in sozialen Systemen.

Die Quellen einer neuen purpose driven Unternehmenswelt

Unternehmen durchlaufen folglich eine Entwicklung, in der sie stufenweise ihren Wahrnehmungsraum weiten und immer fähiger werden, Aspekte ihres Umfelds zu integrieren, wodurch sie zunehmend gesellschaftlich und ökologisch verantwortlich agieren – nach C. Otto Scharmer auch als Entwicklung vom Ego zum Eco beschrieben (Scharmer & Kaufer 2013). Auf diesen und anderen Erkenntnissen aufbauend entwickelte ich die integrale Landkarte des INU-Modells, des Modells der Integral-Nachhaltigen Unternehmensentwicklung[1] (Abb. 1 & Schallhart 2011).

Integral-Nachhaltige Unternehmenswelt

Abb. 1: Ebenen der Integral-Nachhaltigen-Unternehmensentwicklung (INU-Modell): Farbcodes nach Spiral Dynamics (Quelle: Schallhart 2017)

Das INU-Modell beschreibt detailliert die Entwicklungswege von verschiedenen Wesenselementen (Entwicklungslinien) in Organisationen. Es ist die Basis für Unternehmensanalysen, die ich in meinen Workshops, in Studien und als Standortbestimmung am Beginn von Unternehmensbegleitungen durchführe. Wertesysteme, kulturelle Praktiken und Strukturen können in einem integralen Profil sichtbar gemacht und eingeordnet werden. Das integrale Unternehmensprofil dient in der Folge als Navigator dafür, wo Unternehmen und Organisation stehen und was gute Schritte für eine zukunftssichernde Weiterentwicklung sein können.

Wenn ich in der Folge von klassisch-hierarchischen Unternehmen spreche, dann sind damit loyale und strategische Unternehmen (blau, orange) gemeint. Mit generativ-demokratischer Unternehmenswelt umfasse ich sozial-netzwerkende und generativ-evolutionäre Unternehmen (grün, gelb) des INU-Modells (Abb. 1). Generativ-evolutionäre Unternehmen entsprechen dabei teal Unternehmen wie sie Frederic Laloux beschreibt. Sie unterscheiden sich in mehreren Aspekten markant von blau und orange zentrierten Unternehmen. Drei dieser Aspekte betrachte ich in der Folge näher:

Grün und gelb zentrierte Unternehmen können als sinnorientiert oder purpose driven verstanden werden. Sie verfolgen einen Unternehmenszweck, der über das Eigenwohl hinaus sinnstiftend ist. Das kann zum Beispiel ein Biobäcker sein, der regional und biologisch einkauft und produziert, oder ein Social Entrepreneur, der Gemeinwohl schafft. Da der Wahrnehmungs- und Verantwortungsraum dieser Unternehmen beständig wächst , wird nicht nur für das eigene Unternehmen sondern auch für alle verbundenen Stakeholder und Ökosysteme Verantwortung übernommen. Eine neue kooperative Denkweise und Haltung in der internen und externen Zusammenarbeit zeugt von einem echten Paradigmenwechsel im Vergleich zu Kampf (rot) und Konkurrenzdenken (orange) früherer Unternehmensformen. Partizipatives Entscheidungs- und Führungsverhalten sind die Folge. Führung bedeutet zunehmend, Rahmenbedingungen für die Potenzialentwicklung der Menschen im Unternehmen zu schaffen. Dabei geht es nicht mehr nur um fachlichen Kompetenzerwerb (blau und orange) sondern um ganzheitliche Entfaltung und Beteiligung (Schallhart 2011, S.64ff).

Abb. 2: Klassisch-hierarchische und generativ-demokratische Unternehmenswelt (Quelle: Schallhart 2017, inspiriert von C.Otto Scharmer)

Diagnose: Wo stehen wir jetzt?

In meinen Workshops zum Thema „Evolutionäres Unternehmen“ treffen sich meist Menschen, die von ihrer Werteentwicklung großteils dem grün-gelben Bereich zuzuordnen sind. Beim Erstellen des integralen Werte- und Kulturprofils wird sichtbar inwieweit die persönlichen Werte und Haltungen mit den Unternehmensinteressen zusammenpassen. Auch zeigt sich, inwieweit Unternehmenswerte, kulturelle Praktiken und Unternehmensstrukturen in sich stimmig sind.

Berater oder HR- und IT-Verantwortliche von Großunternehmen entdecken dabei oft ein Gap zwischen ihren eigenen fortgeschrittenen Werten und jenen des Unternehmens im orangen, oder teilweise noch blauen Bereich. Geschäftsführer von Klein- und Mittelbetrieben verorten die Unternehmenskultur mehrheitlich an der Schwelle zu grün – oft mit gelben Einsprengseln. Was die Teilnehmenden meistens eint, ist der Wunsch nach besserer Verteilung von Verantwortung und besseren Entscheidungsprozessen.

Die globale Werteforschung zeigt, dass in demokratischen Gesellschaften postmaterielle Werte, Umweltschutz und Toleranz sowie partizipative Entscheidungsfindungsprozesse immer wichtiger werden (World Value Survey 2015). Auch Sigrid Stagl[2] betont im Zusammenhang mit der Umsetzung von nachhaltigen Werten die Wichtigkeit von offenen und demokratischen Prozessen, die soziales Lernen ermöglichen (Stagl 2012).

Unternehmen an der Schwelle zu generativ-demokratisch

Die „Studie zu nachhaltigen und demokratischen Unternehmen“ des Beraternetzwerkes SustainCo, in der 80 Unternehmen nach dem INU-Modell analysiert wurden, ergibt, dass die Mehrzahl der befragten Unternehmen noch als strategische Unternehmen aufgestellt sind, aber eine Entwicklung hin zu sozial-netzwerkenden und teilweise auch weiter zu generativ-evolutionären Unternehmen anstreben (Abb. 7 & SustainCo 2017). Interessant ist, dass die Studie je nach Unternehmensgröße unterschiedliche Bilder zeichnet (SustainCo 2017, 25ff).

Prägende Werte unserer Unternehmenswelt

Abb. 3: Prägende Unternehmenswerte (IST), aufgeschlüsselt nach Unternehmensgröße (Quelle: SustainCo 2017)

Gemeinschaft, Sinn und ganzheitliche Potenzialentfaltung sind die prägenden Werte in kleinen Unternehmen mit bis 49 Mitarbeitenden. Diese grundlegende (Sinn-)Ausrichtung spiegelt sich auch in demokratischen Entscheidungsverfahren und Führungsmodellen wider. Die Entscheidungsfindung ist durchwegs partizipativ. Trotzdem wird von der Führung im Vergleich zum aktuellen Zustand noch mehr Mitsprache und Freiraum für selbstorganisierte Gestaltung gefordert.

Vorherrschende Entscheidungskultur in unserer Unternehmenswelt

Abb. 4: Praktiken der Entscheidungsfindung (IST), aufgeschlüsselt nach Unternehmensgröße (Quelle: SustainCo 2017)

Bei mittleren Unternehmen mit bis zu 1000 Mitarbeitenden findet sich neben einer Grundausrichtung zu Gemeinschaft und Sinn oft auch Tradition und Qualität als Treiber für die Geschäftstätigkeit. Neben zentralen Beschlüssen ist die Entscheidungsfindung vorrangig von Debatten und rationalen Kompromissen geprägt. Die Letztentscheidung trifft meist die Führungskraft.

Führungsmodelle gehören noch überwiegend der hierarchischen Unternehmenswelt an. Gewünscht werden allerdings überwiegend demokratische Führungsmuster. Die Führungskraft soll dabei in einem partizipativen und unterstützenden Führungsmodell auch Rollen als Coach, Mentor und Moderator einnehmen. Führen soll in weiterer Folge dann auch „situative Begleitung und Freiraum geben“ bedeuten.

Praktizierte Führungsstile in unserer Unternehmenswelt

Abb. 5: IST-Struktur von Führungsmodellen, aufgeschlüsselt nach Unternehmensgröße (Quelle: SustainCo 2017)

In Großunternehmen mit über 1000 Mitarbeitenden sind mehrheitlich Leistung und Wettbewerb die prägenden Werte. In Summe sind noch zwei Drittel der vorherrschenden Wertesysteme der alten hierarchiebetonten Unternehmenswelt zuzuordnen. Noch höher ist der Anteil der hierarchisch dominierten Entscheidungsmuster. Im Vergleich zu mittleren Unternehmen ist die Entscheidungsfindung noch wesentlich öfter von rational begründeten Kompromissen geprägt und die finale Entscheidung wird überwiegend von der Führungskraft getroffen. Auch das aktuelle Führungsverhalten entspricht großteils hierarchischen Modellen. Insbesondere Management by Objectives (MbO) und Lean Management werden kombiniert mit Leadership und Delegation angewandt. Gefragt nach den gewünschten Führungsmodellen von morgen kehrt sich das Verhältnis um. In über 80 Prozent der Großunternehmen sollen partizipativ-demokratische Führungsstrukturen angestrebt werden.

Gewünschte Führungsmodelle in unserer Unternehmenswelt

Abb. 6: SOLL-Struktur von Führungsmodellen, aufgeschlüsselt nach Unternehmensgröße (Quelle: SustainCo 2017)

Die Studie zeigt: Auch wenn Unternehmen auf ihrem Weg hin zu einer generativ-demokratischen Unternehmenswelt noch unterschiedlich weit zu gehen haben, dort anzukommen, erscheint für nahezu alle ein attraktives Ziel zu sein – selbst wenn das für viele noch ein weiter Weg ist. Unabhängig von der Unternehmensgröße lässt sich ein klarer Wunsch zu mehr Partizipation und ganzheitlichem Unternehmenszweck ablesen. Agile Führungsmodelle sollen flexible Machtverteilung ermöglichen und Raum für kreative Entfaltung und Selbstorganisation geben.

IST und gewünschter Zustand eine nachhaltigen Unternehmenswelt

Abb. 7: Studie zu nachhaltigen und demokratischen Unternehmen: IST-Zustand von unternehmerischen Werten, kulturellen Praktiken und Strukturen; SOLL-Strukturen mittelfristig in ca. 3 Jahren gewünscht (Quelle: SustainCo 2017, Grafik: Schallhart)

 


Zum Weiterlesen:

Empfehlung für jene, die tiefer in die neue Unternehmenswelt eintauchen wollen:

Fußnoten

[1] Im INU-Modell werden zusätzlich zu den Wertesystemen von Spiral Dynamics (Beck & Cowan 2008) und den Aspekten des Graves-Value-Systems (Bär et al. 2010, Graves 1970) Entwicklungspfade der Nachhaltigkeit analysiert und unter Verwendung der Farb-Terminologie von Spiral Dynamics kategorisiert.

[2] Professorin für Umweltökonomie und Umweltpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien und Mitglied in der International Society of Ecological Economics, die sich mit Ethik und Werten in der Ökonomie, nachhaltigem Handeln und Nachhaltigkeitsbewertung auseinandersetzt.

 

Literatur

Bär, Martina; Krumm, Rainer; Wiehle, Hartmut (2010): Unternehmen verstehen, gestalten, verändern – Das Graves-Value-System in der Praxis, Wiesbaden: Gabler Verlag / Springer Fachmedien, 2. Auflage

Beck, Don Edward & Cowan, Christopher C. (2008): Spiral Dynamics – Leadership, Werte und Wandel. Eine Landkarte für Business und Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Bielefeld: J. Kamphausen Verlag & Distribution GmbH, 2. Auflage

Capra, Fritof (1985): Wendezeit – Bausteine für ein neues Weltbild, Originalausgabe 1982: The Turning Point. Bern, München, Wien: Scherz, limitierte Sonderausgabe

Graves, Clare W. (1970): The Levels of Human Existence and their Relation to Welfare Problems, Presentation Annual Conference, Virginia State Department of Welfare and Distribution, Roanoke, Virginia, www.clarewgraves.com/articles_content/1970/welfare.html

Schallhart, Annemarie (2011): Integrale nachhaltigkeitsorientierte Unternehmensentwicklung, Norderstedt: www.grin.com

Scharmer, Claus Otto & Kaufer, Katrin (2013): Leading from the Emerging Future: From Ego-System to Eco-System Economics. San Francisco : Berrett-Koehler Publishers

Stagl, Sigrid (2012): Werte als Grundlage für eine nachhaltige Wirtschaft, Herausforderungen für Ökonomie & Wirtschaftspolitik, Vortragsreihe: Mut zur Nachhaltigkeit, www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/umweltthemen/nachhaltigkeit/MZN_Vortrag_Stagl.pdf

SustainCo (2017): Studie zu nachhaltigen und demokratischen Unternehmen. Lüneburg: http://sustainco.net/studie-nachhaltige-und-demokratische-unternehmen

Wilber, Ken (2007): Eine kurze Geschichte des Kosmos. Amerikanische Erstausgabe 1996 unter dem Titel „A Brief History of Everything“, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 8. Auflage

World Value Survey (2015): Live Cultural map – WVS (1981-2015). Inglehart–Welzel, www.worldvaluessurvey.org