Kulturentwicklung und Soziokratie unterstützen Paradigmenwechsel:
Es beginnt mit Verantwortung

Kategorie: Blog

Tipping Point »Verantwortung in der Führung«

Was verändert COVID-19?

Was bedeuten Integrale Unternehmensentwicklung und New Work und in Zeiten von COVID-19 und Klimanotstand? Diese 8-teilige Artikelserie beschreibt, warum Verantwortung der Schlüssel für den bevorstehenden Paradigmenwechsel in der Unternehmensführung ist. Sieben Wirkfaktoren veranschaulichen anhand des Tourismusunternehmens Upstalsboom die kulturellen Aspekte. Anhand der Soziokratie werden unterstützende methodische Aspekte vorgestellt.

Führung in Zeiten von New Work, COVID-19 und Klimakrise

Vor COVID-19 hat die Fridays4Future-Bewegung so richtig Aufwind bekommen. In nahezu allen größeren Städten der Welt haben Jugendliche ihre Stimmen erhoben und in Kooperation mit Wissenschafter:innen aufgezeigt, dass wir mit der derzeitigen Art und Weise zu konsumieren und zu wirtschaften unserem Planeten keine (gute) Zukunft bevorsteht und dass es so nicht weitergehen kann. Die Message kam an, doch es reichte noch nicht zum Handeln. Trotz zorniger Jugendlicher schien sich in der Politik und in der Wirtschaft wenig oder nur vereinzelt etwas zu bewegen. Dann kam die Corona-Pandemie und wir alle stellten nach einer Schrecksekunde um auf Krisenbewältigung. Die eigene Gesundheit löste in der Brisanz die Gesundheit des Planeten ab.

COVID-19 hat uns gezeigt, dass wir fähig sind, radikale Veränderungen der Arbeitswelt extrem schnell und auch brauchbar umzusetzen. Vermehrte Online-Angebote, Homeoffice und Online-Konferenzen werden auch nach der COVID-19-Krise unsere Arbeitswelt prägen.

Wenn wir langsam wieder aus der Corona-Krise auftauchen, stellen wir damit die Weichen für die Wirtschaft von morgen. Angesichts der aktuellen ökologischen und sozialen Herausforderungen wird die Art und Weise wie wir das tun für unsere Zukunft als Menschheit entscheidend sein.

Dass an unserem Planeten Raubbau betrieben wird, wissen wir spätestens seit 1972 als der Club of Rome seinen Bericht „Grenzen des Wachstums“ zur Lage der Menschheit veröffentlichte. Die lange Phase der Leugnung und des Wegdiskutierens liegt inzwischen hinter uns und es ist klar, dass es eine Energiewende, eine Mobilitätswende und eine Agrarwende geben wird müssen. Durch Corona gewinnt insbesondere die Agrarwende an Brisanz: Gesunde Nutztierhaltung, Ökosystemschutz und -integrität sind wichtige Aspekte zur Ursachenbekämpfung von viralen Epidemien durch Vermeidung von Zoonosen[1].

„Viren sind nicht lebendig, weil sie keinen Stoffwechsel haben. Ein Virus benötigt eine lebende Wirtszelle, um neue Viruspartikel zu produzieren.“

(Fritjof Capra)

Wir müssen also den Gesamtkontext betrachten, wenn wir weitere Pandemien vermeiden wollen.

Flatten the Curve

Es ist Zeit, Verantwortung zu übernehmen und einen radikalen Kurswechsel auf den Weg zu bringen. Die Rückkehr zum Business as usual ist keine Option. Flatten the curve kann weiterhin unser Motto bleiben. Zur Bekämpfung der Klimakrise muss der CO2-Ausstoß und generell der globale Ressourcenverbrauch reduziert werden. Außerdem sollten wir durch achtsamen Umgang mit den Ökosystemen dieser Welt an den Ursachen solcher Pandemien ansetzen und deren Entstehung von vornherein bekämpfen.

Was bedeutet das nun für Unternehmen, die sich diesen Herausforderungen stellen und Mitverantwortung für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft übernehmen wollen?

Lebendige Organisationen als Eco-System

Die klassischen Managementansätze des 20. Jahrhunderts zielen auf effiziente Abläufe, die präzise gesteuert und kontrolliert werden können. Das Maß aller Dinge ist der Shareholder Value. Dieses Bild einer Organisation als Maschine, in der Menschen als Rädchen im Getriebe behandelt werden und angehalten werden, den Unternehmensgewinn zu maximieren, hat angesichts der aktuellen globalen Probleme ausgedient.

Im Informationszeitalter mit immer komplexeren Herausforderungen werden neue menschenfreundliche Führungsmodelle notwendig, die mit sich ständig ändernden Rahmenbedingungen und nichtlinearen Zusammenhängen umgehen können. Es braucht lebendige Organisationen, die organisch in ihre Umwelt eingebunden sind und global verantwortlich agieren.

Das INU-Modell für Integral-Nachhaltige Unternehmensentwicklung[2] (Schallhart 2011) zeigt diesen Schritt als Paradigmenwechsel hin zu einem netzwerkenden (grünen) und weiter generativen (gelben) Unternehmen.

Haltung zu Verantwortung als Tipping Point für den Schritt hin zu netzwerkenden und generativen Unternehmen, in ein lebendig-holarchisches ECO-System

Abb. 1: Notwendiger Paradigmenwechsel nach dem INU-Modell für Integral-Nachhaltige Unternehmensentwicklung, Tipping Point Verantwortung (Quelle: Schallhart 2020)

Unternehmen sind derzeit noch großteils als strategische, gewinnorientierte Unternehmen im orangen Bereich beheimatet. Sie erachten zwar den Sprung in die verantwortungsvolle grüne Welt als anstrebenswert, dennoch ist ihnen mit Ausnahme kleiner eigentümergeführter Unternehmen nicht klar, welche Konsequenzen das nach sich zieht. In großen Konzernen fällt Realität und Wunschbild gravierend auseinander (SustainCo 2017).

Netzwerkende Unternehmen sind hierarchiearm und die Ausrichtung der Zusammenarbeit erfolgt werte- und sinnorientiert, sodass Selbstorganisation möglich wird. Im Vergleich zu strategischen Unternehmen ändert sich die Machtverteilung: das heißt vor allem Führen bei gleichzeitiger Abgabe von exklusiver Entscheidungsmacht und Verantwortungsverteilung.

Lesen Sie im Folgenden wie sich Unternehmen und insbesondere Unternehmensführungen fit für diesen Paradigmenwechsel machen können.

Tipping Point Verantwortung:
Verantwortungsethik statt Gesinnungsethik

Verantwortungsvolles Führen kann nur gelingen, wenn Verantwortung für sich selbst, für das Miteinander in der Organisation und für die Auswirkungen des Unternehmens auf die Gesellschaft und unseren Planten zusammenkommen. Es geht darum, Stellung zu beziehen und verantwortlich einzutreten für eine bessere Welt.

Die Haltung zu Verantwortung ist der Tipping Point für die Transformation von einer mechanistisch-hierarchischen zu einer lebendig-holarchischen Unternehmenswelt.

Mit der Übernahme von Verantwortung im Unternehmen ist aber nicht gemeint, in einem Gewaltakt das Runder herumzureißen und Veränderungen von oben durchzuboxen, weil nur so der Gewinn oder der Shareholder Value (das Aktionärsvermögen) nicht leidet. Es geht nicht um ein Handeln, das die Automatik des Marktes gerade verlangt. Nach Max Weber entspräche solches Handeln einer puren Gesinnungsethik[3]. Damit würde die Verantwortung ausgelagert an die Marktmechanik.

Haltung zeigen und nach eigenen Werten handeln

Ganz im Gegenteil: Wie wir am Beispiel Upstalsboom sehen werden, geht es darum, als Unternehmensleiter seinen persönlichen Daseinszweck zu erkennen und diesen in das Zentrum des eigenen Handelns zu stellen. Daran werden dann die eigenen Entscheidungen und die Entscheidungen für das Unternehmen ausgerichtet. Das bedeutet ein verantwortungsethisches Vorgehen[4], das bereit ist, für die Folgen des eigenen Handelns vollumfänglich geradezustehen.

Verantwortungsethik erfordert, sich mit vielen Dingen auseinander zu setzen. Das kann auch unangenehm und anstrengend sein. Im Grunde ist das Ziel, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und sich nicht „vor einen Karren spannen zu lassen“. Es geht um authentisches Mitgestalten im Unternehmen, in der Gemeinde, im gestaltbaren Umfeld.

Verantwortungsethik ermöglicht 
authentisches Führen.

Verantwortung in der Führung ist also immer individuell wahrzunehmen, sie kann nicht an den Konzern, die Community, das System des Marktes oder die Unkenntnis der klimapolitischen Zusammenhänge abgeschoben werden. Es geht nicht darum, einer Gesinnung „hinterher zu laufen“, sondern Bewusstseinsarbeit zu machen und die eigenen Werte zu reflektieren und dann für diese Werte einzustehen, indem diese auch im Unternehmen vertreten werden – auch wenn das unbequem ist. Es ist ein ständiger Balanceakt, den eigenen Handlungsraum so gut wie möglich zu gestalten und zu verantworten.

Transfer ins Unternehmen

So können Paradigmenwechsel in Organisationen angestoßen und das Netz des Lebens weitergewebt werden. Um Missverständnisse zu vermeiden: Damit ist nicht der alles überblickende Held gemeint. Gefordert wird eine authentische Führungsperson, die sich dem Kollektiv zur Verfügung stellt und daran arbeitet, dass das Wissen und die Potenziale aller Mitarbeitenden einfließen können.

Verantwortungsethische Haltung als Voraussetzung für eine neue Unternehmenskultur.

Über solche Führungspersonen kann Verantwortungsethik zum Tipping Point, zum Auslöser, für eine neue Unternehmenskultur werden. Im Austausch mit den anderen Menschen in der Organisation, können sich organisationale Werte herauskristallisieren, die wie die DNA in einem biologischen System weitergegeben und über Rückkopplungsschleifen weiterentwickelt werden (Capra 2002). Unternehmenswerte und die lebendige Kommunikation darüber werden damit zum Gerüst für die organisationale Identität und Selbstentwicklungsfähigkeit der einzelnen Organisationseinheiten und des Unternehmens selbst.

Wirkfaktoren für den Paradigmenwechsel von Verantwortung in der Führung

Wie Unternehmensleitung und Führungskräfte unterstützt werden, diesen Paradigmenwechsel auch in ihrem Unternehmen zu manifestieren, wird im Folgenden mithilfe von sieben Wirkfaktoren aufgezeigt.

Anhand des Beispiels Upstalsboom wird auf persönliche und kulturelle Aspekte eingegangen. Über das Instrument der Soziokratie wird erläutert, wie der Paradigmenwechsel von mechanistisch-hierarchisch (blau-orange) auf lebendig-holarchisch (grün-gelb) methodisch und strukturell unterstützt werden kann.

Upstalsboom als Beispiel für kulturellen Wandel

Upstalsboom ist ein Familienunternehmen, das Hotels und Ferienwohnanlagen an der Nord- und Ostsee betreibt. Bodo Janssen übernahm als 33-Jähriger völlig unerwartet die Führung des Unternehmens, nachdem sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.

Upstalsboom ist der Schwenk von einem traditionell geführten Tourismusbetrieb hin zu einem kollaborativ geführten Unternehmen in beeindruckender Art und Weise gelungen. Selbst mit den Covid19-Herausforderungen findet Upstalsboom durch seine menschenfreundliche Unternehmenskultur einen beispielhaft konstruktiven Umgang.

Soziokratie als Wandelinstrument

Soziokratie ist Kooperation auf Augenhöhe. Die Soziokratische KreisorganisationsMethode (SKM) nach Gerard Endenburg ist ein Organisationsmodell, das Beteiligung und Gleichberechtigung in der Beschlussfassung einfordert sowie strukturelle Sicherheit für dynamische Steuerung und organisationales Lernen gewährt.

Abb. 2: Basisfunktionen der Soziokratischen KreisorganisationsMethode (SKM) (Darstellung: Schallhart 2019)

In ihrer Essenz ist die Methode auf vier Basisfunktionen aufgebaut (Strauch & Reijmer 2018): der Kreis als selbstorganisierte semiautonome Organisationseinheit, der doppelten Verknüpfung von Kreisen über jeweils eine leitende und eine delegierte Person für klare top-down und bottom-up Kommunikation, dem KonsenTprinzip für holarchische Entscheidungsfindung und der offenen Wahl für kompetenzbasierte Rollenvergabe.

Zu den Wirkfaktoren 1 bis 7

Aspekt Verantwortung als Person

Aspekt Verantwortung für das Unternehmen

Aspekt Verantwortung für das Ganze

 

Diese Artikelserie ist auch in der IP-Online-Zeitschrift „Integrale Perspektiven“ in zwei Teilen nachzulesen:

Teil 1 des Artikels beschäftigt sich mit dem generellen Wandel von unternehmerischer Verantwortung aufgrund von COVID-19 und Klimakrise sowie dem erforderlichen Wandel im Bewusstsein von Führungskräften (Wirkfaktor 1). Zum Artikel in der September-Ausgabe 2020 „Integral Leadership – Führen aus der Zukunft“

Teil 2 widmet sich anhand der Wirkfaktoren 2 bis 7 dem Paradigmenwechsel im Unternehmen und der Integration von globaler Verantwortung in den organisationalen Kontext. Zum Artikel in der November-Ausgabe 2020 “Integrale Wirtschaftsmodelle”

 

Dank

Wolf Lotter danke ich für seinen inspirierenden Freiräume Trigger Talk im Juni 2020, der mir klar gemacht hat, welchen Unterschied verschiedene Haltungen zu Verantwortung machen können.

Bodo Janssen danke ich für seine Authentizität, die ich bei der Filmpräsentation von »Stille Revolution« im Mai 2018 erleben durfte.

 

Fußnoten

[1] Zoonose: Übertragung von Infektionskrankheiten vom Tier auf den Menschen

[2] Farbcode laut Spiral Dynamics

[3] Gesinnungsethik: Max Weber definierte die Gesinnungsethik dahingehend, dass „der Eigenwert des ethischen Handelns […] zu seiner Rechtfertigung genügen soll. Handlungen werden daran beurteilt, ob sie mit vorgegebenen Werten eines Kollektivs übereinstimmen.

[4] Verantwortungsethik: Bei Entscheidungen zwischen Handlungsalternativen oder bei der normativen Beurteilung von Handlungen wird die Verantwortung für die tatsächlichen Ergebnisse in den Vordergrund gestellt. Es wird eine freiwillige Verpflichtung eingegangen, für mögliche Folgen einzustehen..

 

Quellen

Capra, Fritjof (2002): Verborgene Zusammenhänge. Vernetzt denken und handeln – in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, Bern, München, Wien: Scherz Verlag.

Janssen, Bodo (2020): „Unsere Kultur rettet uns den Arsch“, Interview mit newmanagement.haufe.de, https://newmanagement.haufe.de/strategie/upstalsboom-ceo-bodo-janssen-ueber-tourismus-und-corona

Schallhart, Annemarie (2011): Integrale nachhaltigkeitsorientierte Unternehmensentwicklung, Norderstedt: www.grin.com

Strauch, Barbara & Reijmer, Annewiek (2018): SOZIOKRATIE. Kreisstrukturen als Organisationsprinzip zur Stärkung der Mitverantwortung des Einzelnen. München: Vahlen-Verlag.

SustainCo (2017): Studie zu nachhaltigen und demokratischen Unternehmen. Lüneburg: www.sustainco.net/studie-nachhaltige-und-demokratische-unternehmen

WirtschaftsWoche (2020): Plötzlich Chef – was nun?, www.wiwo.de/erfolg/management/unternehmensfuehrung-ploetzlich-chef-was-nun/25541884.html

 

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